Seitdem ich von meiner Lesereise aus St. Gallen zurück bin, bin ich fest davon überzeugt: Irgendwo in der Schweiz muss er sein – der Ort, wo die wilden Leser und Leserinnen wohnen. Ich weiß zwar noch nicht in welchem Kanton, oder ob es nicht einfach auch mehrere solche „Geburtsorte“ gibt – aber eines ist schon mal klar: In der Schweiz ist Lesen eine Insitution. Versteht mich nicht falsch, auch Deutschland hat wunderbare Konzepte, emsige Lesepat:innen, vorbildlich engagierte Lehrer:innen und Pädagog:innen, die Büchereien haben vielfältige Angebote mit Bilderbuchkino, Leseclubs und Poetry Slam etc.. Aber, und hier kommt der Punkt,: Es ist alles freiwillig. Jemand, der oder die nicht so gern lesen mag, flutscht in Deutschland allzu oft durchs Netz, taucht ab und ist nicht mehr zu angeln, egal welche Köder man ihm oder ihr vor die Nase hält. Und nein, ich fange jetzt nicht wieder von der IGLU-Studie an, auch wenn ich es gerne möchte.
In der Schweiz ist das nicht so schnell möglich, denn hier ist das Lesen einfach fest in den Schulalltag integriert: Und damit meine ich jetzt nicht nur die regelmäßigen Schullesungen im Rahmen des Programms Literatur aus Erster Hand (allein in St. Gallen und den benachbarten Kantonen sind es in diesem Jahr 650 Veranstaltungen). Es ist aber auch das: An nahezu jede Primarschule ist eine Bücherei mit einem sehr gut ausgestatteten Etat angeschlossen. Diesen Etat brauchen die Bibliotheken aber auch, denn vielerorts gehört der regelmäßige Besuch fest zum Stundenplan: Mindestens mal alle drei, vier Wochen gehen die Schülerinnen und Schüler in die Bibliothek und müssen sich dort ein Buch ausleihen. Oder es steht eine Schulstunde Lesen auf dem Wochenprogramm, oder nach der Pause wird erst einmal eine Viertelstunde in der Klasse kollektiv geschmökert. Lesen ist nicht etwas, was so irgendwie und nebenher im Deutschunterricht passiert und das mit einem – wenn man Glück hat – irgendwann noch die Eltern üben. In der Schweiz gehört es zum Lehrplan wie Sport oder Religion.
Jedenfalls habe ich es so erlebt, als ich jetzt bei St. Gallen unterwegs war. Bei Niederurnen musste ich am Morgen erst einmal über die vielen querliegenden Schüler und Schülerinnen steigen, die sich lesend auf dem Bibliotheksboden ausgebreitet hatten. Karin Cuipers, die Bibliothekarin erzählte mir von dem Elternabend, den sie neulich veranstaltet hat – mit Book-Castings, wo Bücher anhand verschiedener Kriterien gegeneinander antreten: Cover, Klappentext, Plot etc. So unterhaltsam können Buchempfehlungen für Eltern sein. Auch in Niederurnen gehört das Fach Lesen fest in den Stundenplan der kleinen Leserinnen und Leser. 1000 neue Bücher kann Karin Cuipers kaufen.
Nebenan in Uznach ist es nicht anders: Die Kolleginnen sehen die Schülerinnen und Schüler der Primarschule regelmäßig und kennen sie ziemlich gut. 270 Klassenbesuche waren es allein 2022 Vielleicht meinen es die Störche, die in dieser kleinen Stadt wirklich überall nisten, deswegen so gut mit dem lesenden Nachwuchs. Ich habe mich jedenfalls auch sehr gefreut, dass wirklich jedes Buch von mir dort im Regal steht. Wirklich jedes.
Aber es wäre unfair, wenn ich nur das als Erinnerung mitgenommen hätte. Denn es war einfach rundum schön in St. Gallen und Umgebung. Am Rorschacherberg konnte ich zwischen drei sehr schönen Lesungen an den ebenso schönen Bodensee hinunterwandern und meine Mittagspause direkt am Wasser genießen. Wo hat man das schon? In Teufen überbot man sich mit noch kreativeren Ideen für weitere Bücher. (Das frage ich immer, schließlich ist mir „Die Nacht in der Schule“ ja auch bei einer Lesung von einer Klasse eingeflüstert worden). Ebenso in Ebnat-Kappel. Hier gibt es einen Schulgeist, der wirklich magische Kräfte zu haben scheint und dem man einiges an Abenteuern andichtet. Und man kann ihn nur austreiben, indem man ganz laut „We will rock you“ grölt. Also, wenn der sich nach dieser Vorstellung nochmal traut, sein Unwesen zu treiben – das würde mich schon arg wundern.
Schön, war’s natürlich auch, weil St. Gallen so bezaubernd ist – allen voran die wunderbare ehrwürdige Stiftsbibliothek – und weil wir wieder mit vielen lieben Kollegen unterwegs waren, dieses Mal waren wir sogar selbst bei einer Lesung – bei Theresa Präauer mit „Essen im falschen Jahrhundert“. Nachdem ich irgendwann mal ein Semester die „Soziologie des Essens“ studiert habe, war das besonders für mich ein sehr amüsanter Abend. Und dann saß ich durch Zufall auf dem Rückweg drei Pädagog:innen aus Adliswil gegenüber (auch da hatte ich schon gelesen, allerdings online): Hier hatte es an der Schule am Tag zuvor einen Bücherflohmarkt gegeben, wo jedes Kind seine alten, nicht mehr gebrauchten Bücher mitgenommen hat und dafür dann mit zehn Franken Spielgeld nun andere Bücher erhandeln musste. Noch so ein Beispiel für institutionalisierte Leseförderung an der Schule.
Natürlich habe ich von meiner jüngsten Lesereise wieder Worträtsel mitgebracht für die Wort-Acker-dem-ih auf www.linkslesestaerke.de. Dieses Mal gibt es neu das Stink-Tier, den gestiefelten Kater und die Roller-Blades.